Weg mit dem Parlamentsvorbehalt?
Einwände gegen den Parlamentsvorbehalt für militärische Einsätze der Bundeswehr sind derzeit schick. Er bedarf aus der Sicht seiner Kritiker einer Anpassung an die Tatsache, dass Einsatzentscheidungen weniger auf nationaler als auf internationaler Ebene getroffen werden und die nationale Parlamentsbefassung ein zu schwerfälliges Instrument für notwendige schnelle Entscheidungen ist. Welche Motivation steht hinter solchen Erwägungen? Mehr Effizienz? Europäisierung? Globalisierung? Bündnisverpflichtungen? Mit Sicherheit jedenfalls nicht das Motto "Mehr Demokratie wagen!"
In der für die  Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebenen "Neuen Gesellschaft/ Frankfurter Hefte"  kam kürzlich Jochen Thies, Journalist des Deutschlandradios, zu folgendem  Frage-Antwort-Spiel: "Wie kann die Bundesregierung einer Entsendung zustimmen,  wenn sich der Bundestag in der Sommerpause befindet? Man sieht, der  Parlamentsvorbehalt ist in Zeiten einer Europäisierung der Streitkräfte in  diesem Umfang nicht länger zu halten."
Im Februar nahm sich die Stiftung  Wissenschaft und Politik in einer kurzen Expertise des Themas an. Dort wird die  zunehmende Verlagerung von Einsatzentscheidungen auf die Exekutive erwartet,  etwa im Blick auf das battle group-Konzept der EU oder die NATO-Response Force  (NRF). Die Festlegung auf Obergrenzen von Truppenkontingenten wird als  Vorratsbeschluss bzw. erweiterten exekutiven Handlungsspielraum interpretiert;  die Kontrolle von Spezialkräften sei ohnehin nur schwach institutionalisiert.  Die unterschiedlichen Entsendeverfahren für Soldaten und Polizisten wie auch  Nachrichtendienstler verlangten nach neuen Mechanismen. Diese Analyse mündet in  der Forderung nach einem Entsendeausschuss: immerhin ein legislatives  Instrument!
Diesen Argumenten folgt auch Bundesinnenminister Schäuble,  der davon ausgeht, dass zumindest bei multinationalen Verbänden die  Parlamentsbeteiligung nicht aufrechterhalten werden kann. Dem stimmen laut  Presse auch der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und der Außenpolitiker  Andreas Schockenhoff zu.
Was wirklich verwundert, ist die offenbar  umstandslose Bereitschaft, ein bewährtes und eingespieltes Verfahren  demokratischer bzw. parlamentarischer Kontrolle aus – tatsächlichen  oder vermeintlichen – Effizienzgründen so rasch zu opfern.
Die  bisher auswertbaren Einsatzszenarien stützen keinen der angeführten Argumente  für eine Veränderung des Status Quo. Im Gegenteil: am Parlamentsvorbehalt ist  noch kein einziger Auslandseinsatz gescheitert. Auch der Vorwurf, der  Entscheidungsprozess dauere mit Parlamentsvorbehalt zu lange, ist falsch.  Etliche Beispiele aus der Vergangenheit belegen, dass der Bundestag innerhalb  weniger Tage über einen Einsatz zu entscheiden vermag. Erinnert sei an die  Beschlüsse über KFOR vom 11.06.1999, über Amber Fox vom 27.09.2001 sowie über  ISAF vom 21./22.12.2001 – letzterer fand also bereits in der  Weihnachtspause statt. Über alle Einsätze konnte zügig innerhalb weniger Stunden  von der ersten Lesung über die Aussschussbefassung bis zur zweiten und dritten  Lesung im Plenum des Bundestages beraten und entschieden werden.
Den  Befürwortern vermeintlich effizienterer bzw. schnellerer Verfahren scheint zudem  entgangen zu sein, dass der Deutsche Bundestag 2005 der veränderten  Einsatzwirklichkeit durch das "Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei  der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland"  (Parlamentsbeteiligungsgesetz) Rechnung getragen hat. Im § 4 sind hier  vereinfachte Zustimmungsverfahren bei Einsätzen geringer Intensität geregelt, im  § 5 Verfahren bei Gefahr im Verzug.
Der Parlamentsvorbehalt ist ein  wichtiges und verfassungsrechtlich verankertes Instrument der Kontrolle der  Legislative über die Exekutive. Es ist auch eine Möglichkeit der Abgeordneten,  sich in die Entscheidungsfindung der Regierung einzubringen. Der Einsatz des  Militärs auf der Grundlage von exekutivem Handeln entspricht jedenfalls nicht  dem, was wir uns in Deutschland historisch – allerdings auch ganz  praktisch – erarbeitet haben. Nicht nur die Soldaten, sondern auch  ihre Angehörigen und mit ihnen die breite Öffentlichkeit, halten das Ringen um  die Entscheidung und die Sinnhaftigkeit des Einsatzes für die Konsensbildung für  notwendig. Für die Soldaten selbst ist die Parlamentsentscheidung der Nachweis  einer möglichst breiten Unterstützung für ihren Auftrag.
Richtig  allerdings ist, dass die politischen Debatten auf Regierungsebene und in der  Öffentlichkeit vor der formalen Parlamentsbefassung langwierig sein können. Das  liegt in der Natur der Sache. Erinnert sei hier beispielhaft an die Diskussionen  im Rahmen von Regierungskonferenzen vor dem Kosovo-Einsatz der Bundeswehr oder  auch zum Kongo-Einsatz. Von der Anfrage aus New York zur Bereitstellung einer EU-battle group Ende Dezember 2005 bis zur  Entscheidung im Deutschen Bundestag Ende Mai 2006 verging immerhin fast ein  halbes Jahr. Auch der Bereitstellung der deutschen Tornados für den Einsatz in  Afghanistan ging eine längere Debatte – nicht nur im nationalen Rahmen  – voraus. Sogar die Vorbereitung zur Entscheidung zu ISAF und OEF nach  dem 11. September brauchte mehr als drei Monate. Diese "Langwierigkeit" lässt  sich in demokratischen Gesellschaften nicht verhindern. Sie ist sogar  wünschenswert. Diese Beispiele belegen zudem, dass die Multinationalität von  Verbänden nicht ernsthaft als Beleg für die Fragwürdigkeit des  Parlamentsvorbehaltes herangezogen werden kann. 
Auch die vermeintliche  "Bevorratung" (SWP) aufgrund der Festlegung von Obergrenzen für  Truppenkontingente als Verlust an parlamentarischer Kontrolle zu interpretieren  hält der genaueren Betrachtung nicht stand. Der Begriff des Vorrats wird  offensichtlich sehr wörtlich genommen. Die der Festlegung unterstellte  Motivation der Ausweitung von exekutiver Handlungsfähigkeit geht an der  Einsatzwirklichkeit vorbei. Wer so argumentiert, vermag letztlich sogar in der  Zahl der Mullbinden im Lazarettzelt eines Feldlagers ein staatspolitisches  Skandälchen zu entdecken. 
Der Hinweis ist auch deswegen nicht plausibel,  weil der Bundestag erteilte Mandate nicht ständig anpassen darf. Es ist "die  Bundesregierung, die grundsätzlich für den Einsatz der Bundeswehr verantwortlich  ist und die innerhalb des Mandates konkrete Entscheidungen im Einsatz zu treffen  hat. Daraus folgt, dass durch den Beschluss des Bundestages keine zu  detaillierten Vorgaben gemacht werden dürfen, damit eine hinreichende  Flexibilität für diese Entscheidungen verbleibt." schreibt der Wissenschaftliche  Dienst des Deutschen Bundestages in einem Gutachten vom Februar 2007 (WD 2007)  zu den verfassungsrechtlichen Determinanten von Auslandseinsätzen. Danach ist  eine pauschale Ermächtigung der Regierung durch die Legislative zu Beginn einer  Legislatur ausgeschlossen. Vorratsbeschlüsse für Einsätze in integrierten  Verbänden erfordern auf jeden Fall eine Änderung der Verfassung. Dafür gibt es  keine Mehrheit im Deutschen Bundestag. Vorratsbeschlüsse im wirklichen Sinne des  Wortes machen vermutlich aber auch aus politischen Gründen wenig Sinn.  
Einer intensiveren Debatte wird sich der Deutsche Bundestag allerdings  zu geheimhaltungsbedürftigen Einsätzen stellen wollen. Diese werden derzeit nach  den Regeln von "Gefahr im Verzug" und "erkennbar geringer Bedeutung" gehandhabt.  Die Erfahrungen mit den Einsätzen von KSK lassen es in der Tat sinnvoll und  notwendig erscheinen, die parlamentarischen Kontrollmechanismen einer kritischen  Prüfung zu unterziehen. Der Verteidigungsausschuss wird im Rahmen seines  Untersuchungsauftrages im Fall Kurnaz im Ergebnis ganz sicher darüber nachdenken  müssen, wie die parlamentarischen Kontrollen in Würdigung von Besonderheiten neu  justiert werden können. Die im Parlamentsbeteiligungsgesetz beschriebene  Unterrichtung "in geeigneter Weise" bedarf der Konkretisierung und  Weiterentwicklung über das bisher praktizierte Verfahren der informellen Information der Obleute des  Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschusses hinaus. Ob diese Einsätze in einem  neu zu bestimmenden parlamentarischen Gremium beraten und entschieden werden,  erscheint allerdings eher unwahrscheinlich. Der von den Autoren der Stiftung  Wissenschaft und Politik vorgeschlagene "Entsendeausschuss" aus Mitgliedern der  Ausschüsse für Auswärtiges, Haushalt, Inneres und Verteidigung geht an der  Wirklichkeit vorbei, u.a. weil nicht nur Bundespolizisten in Auslandseinsätze  gehen, sondern auch Länderpolizisten.
Sicher ist, dass es keinen einzigen  guten Grund gibt, auf den Parlamentsvorbehalt zu verzichten. Er ist ein Gebot  der Verfassung, aber auch unseres politischen Verständnisses vom Einsatz  militärischer Gewalt. Es ist derzeit zudem nicht denkbar, dass ein europäisches  Land seine Streitkräfte der nationalen Einsatzentscheidung entzieht.
