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Mogg: In Afghanistan gibt's auch Lichtblicke

Gastautorin warnt vor einseitigen Sichtweisen - Polizeiausbildung stärken

(Rhein-Zeitung, 07.07.2009)


Anschläge, Korruption, Drogenexport: Afghanistan liefert in der öffentlichen Wahrnehmung fast nur noch Negativschlagzeilen. Völlig zu Unrecht, sagt unsere Gastautorin Ursula Mogg.

 

Politische Arbeit beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist. Dieser Satz gilt wie kein anderer für die deutsche und internationale Afghanistanpolitik. Die Zahl der sogenannten sicherheitsrelevanten Zwischenfälle steigt an. Es gibt mehr Anschläge, mehr direkte Angriffe, mehr direkten Beschuss, mehr Opfer. Fast täglich wird über Kämpfe berichtet, via Internet nahezu "live" zu verfolgen. Besserung scheint nicht in Sicht. Eher das Gegenteil! Zur umfassenden kritischen Analyse sind auch die Faktoren einer wenig effizienten Regierungsarbeit, zwielichtige Amtsträger, Vetternwirtschaft, Korruption und Drogenhandel hinzuzufügen.

 

Was also ist zu tun? Die deutsche Debatte fordert ein härteres militärisches Vorgehen und härtere Einsatzregeln ebenso wie den umgehenden Rückzug aus Afghanistan. Gleichzeitig wird verbal aufgerüstet. Dabei entstehen auch unerwartete Allianzen. Wehrbeauftragter und Bundeswehrverband fordern Seite an Seite mit der Linken, endlich von "Krieg" zu sprechen. Die Zeitung mit den großen Buchstaben fragt "Wie blutig wird Afghanistan noch?" Moderatere Stimmen weisen auf Ausrüstungsdefizite der Bundeswehr hin und fordern deren Behebung. Die Zustimmung in der Bevölkerung zu dem Einsatz sinkt.

 

Eigene Sicherheit im Fokus

 

Gleichzeitig fordern US-Regierungsvertreter dazu auf, sich noch stärker zu engagieren. Das eigene Beispiel: 21 000 zusätzliche Soldaten, 7,5 Milliarden Dollar für die afghanische Armee sowie deutlich mehr Ressourcen für den zivilen Aufbau. Ein weiterer Schwerpunkt wird bei der Frage der regionalen Bearbeitung des Konfliktes gesetzt.

 

Deutsche Politik kann und darf sich der Verantwortung nicht entziehen. Es geht um unsere eigene Sicherheit. Es sei daran erinnert: Die Anschläge vom 11. September wurden in Afghanistan (und auch in Deutschland) geplant. Die Bundeswehr muss so ausgerüstet sein, dass sie sich den Herausforderungen des Einsatzes stellen kann. Das bedeutet auch, dass die Soldaten nach Regeln vorgehen, die der Lage angemessen sind. Das hat nichts mit Kriegstreiberei zu tun! Ziel aller Bemühungen in und für Afghanistan ist es, Afghanistan selbst in die Lage zu versetzen, seine eigene Sicherheit zu organisieren. Dazu ist es notwendig, den Auf- und Ausbau der ANA (Afghan National Army) weiter zu forcieren. Es gehört schon heute zur Einsatzrealität, dass Isaf zusammen mit der ANA operiert. Die Zusammenarbeit wird allseits positiv bewertet. Die Sicherheit der Hauptstadt Kabul wird seit geraumer Zeit von der ANA sichergestellt. Offensichtlich durchaus mit Erfolg.

 

Die Bundesrepublik Deutschland hatte die Verantwortung für den Aufbau der ANP (Afghan National Police) übernommen. Diese Aufgabe wurde 2007 in eine europäische Mission überführt. Der afghanische Innenminister nennt 160 000 Polizisten, die er für die nötigen Aufgaben braucht. Er hat bisher gerade mal die Hälfte. Die afghanischen Polizeikräfte werden schlecht bezahlt. Daraus erwächst eine Vielzahl von praktischen Problemen. Von deutscher Seite ist zum Thema "Polizeiaufbau" eine selbstkritische Betrachtung notwendig. In der neuen sicherheitspolitischen Welt brauchen wir deutlich mehr Polizisten als Soldaten. Dieses Thema scheint noch nicht von allen Innenpolitikern wirklich erkannt zu sein. Es ist dringend notwendig, dass das Bewusstsein für die internationale Polizeiarbeit weiter geschärft wird. Das wird ein Thema für die Regierungs- und Parlamentsarbeit der kommenden Legislatur sein.

 

Ein Blick auf die Lage in Afghanistan unter Einbeziehung auch der zivilen Entwicklung fällt derzeit durchwachsen aus. Ja, es ist wahr: Aus dem Land am Hindukusch erreichen uns viele schlechte Nachrichten, aber auch wirklich ermutigende.

 

In Kabul und weiten Teilen des Nordens hat sich die Sicherheitslage gut entwickelt. Dies geht einher mit einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Die Projekte zur Trinkwasserversorgung, zum Straßenbau und zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen laufen gut. In Mazar-i-Sharif wird es bald den modernsten Flughafen in Zentralasien geben. Mitte Juni hat eine zivile Fluggesellschaft die regelmäßige direkte Verbindung Kabul-Frankfurt aufgenommen. Die Nachfrage nach Bildungsangeboten ist hoch. So berichtet die Friedrich-Ebert-Stiftung, dass 300 Bewerbungen für 30 Plätze in einem sogenannten "Young Leaders Forum" vorliegen. Es gibt Teilerfolge bei der Drogenbekämpfung. In diesem Jahr wird eine Rekord-Getreideernte erwartet.

 

Frauen leisten Widerstand

 

Telekommunikation zählt zu den Boomsektoren. 22 von 100 Afghanen haben mittlerweile ein Handy. Das bedeutet Veränderung für die unterschiedlichen Akteure. Der Versuch, ein konservatives Familienrecht einzuführen, scheiterte bisher am Widerstand der Frauen. Und noch eine erfreuliche Nachricht: In Kabul gibt es Fußballerinnen, die im Schutz von Schulen und internationalen Einrichtungen spielen.

 

Fazit: Die Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit unseres Vorgehens steht auf dem Prüfstand. Halbherzigkeit können wir uns im eigenen Interesse nicht leisten. Die Erwartungen der Bevölkerung an eine zivile und friedliche Entwicklung sind hoch. Weitere Anstrengungen im Sicherheitssektor sind von zentraler Bedeutung für eine selbsttragende eigenständige afghanische Entwicklung.

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